Die Sprache dient der Verständigung. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ihm dabei um eine ungehinderte Informationsübermittlung. Wenn also das, was geschrieben steht, verständlich ist, spielt es keine Rolle, wie es geschrieben steht.
Ich vertrete folgende These:
Sprache hat zahlreiche, ja universale Funktionen. Sie auf ihre Vermittlungsfunktion zu reduzieren, stellt eine unzulässige Verkürzung dar.
Zu Begründung gehe ich zunächst auf Salzburgers Seite und denke seine Figur weiter. Dazu nehme ich ein bekanntes Mörike-Gedicht:
"Septembermorgen
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen."
Jetzt streiche ich in diesem Gedicht alles, was keinen unmittelbaren Informationswert hat, ja, was womöglich der Übermittlung sogar hinderlich sein könnte. Dann komme ich zu folgendem Ergebnis:
"Morgens in Waldnähe Nebel, im Tagesverlauf sonnig."
Was ich damit sagen will, ist: Sprache hat keineswegs nur eine kommunikative Qualität (die der Informationsübermittlung), sondern, wie in diesem Beispiel zu sehen, zum Beispiel auch eine ästhetische Qualität. Und die kommt natürlich auch in der äußeren Form zum Ausdruck.
Jene ästhetische Qualität von Sprache (und die ihrer äußeren Form)hat in sozialen Kontexten weit reichende Funktionen. Xare hat ja schon darauf hingewiesen, dass die Beachtung von Regeln gewissermaßen als "sozialer Indikator" dient. Jemandem, der einen fehlerfreien Text liefert, sei es als Geschäftsbrief, als Bewerbungsschreiben, im journalistischen Sektor, bei Buchpublikationen, in der Wissenschaft, unterstellen wir in der Regel bestimmte Eigenschaften: Kenntnis von Regeln, Rücksichtnahme auf den Leser, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit im Umgang mit der Sprache, Respekt...
Häufig findet man, und das führt dann zu erheblichen Missverständnissen, dieses Argument im Umkehr - Kurzschluss, etwa so: "Wer Rechtschreibung nicht beherrscht, ist dumm/respektlos!" Das ist natürlich erwiesenermaßen grundfalsch, unzulässig und völlig unhaltbar, manili hat das schon klargestellt.
Im Sprachunterricht, in der Vermittlung von Sprachkompetenz liegt m. E. eine der wichtigsten Aufgaben institutioneller Pädagogik. Denn dadurch werden Introduktionen in Sprachspiele möglich, und zwar auch für all diejenigen, denen dieser Zugang sonst nicht möglich wäre, sei es aufgrund eines Migrationshintergrundes oder aufgrund häuslicher Verhältnisse. Dass diese Aufgabe, zu der auch das Erlernen inhaltlicher und formaler Regeln zählt, für alle Beteiligten dornig sein kann, liegt auf der Hand. Allerdings scheint die peinlich genaue Beachtung von Schreibregeln in anderen Domänen völlig problemlos möglich zu sein: Kein Mensch klagt darüber, dass eine Email mit nur einem einzigen falschen Zeichen nicht zu verschicken ist. Merkwürdig.
"Sprache ist eine Waffe - haltet sie scharf", hat K. Tucholsky gesagt; ich würde es etwas weniger martialisch formulieren: Ohne Kenntnis von Sprache laufe ich ständig Gefahr, zu verlieren. Kenne und beherrsche ich aber die Waffen und Strategien meiner Gegner, macht mich das sicherer: Meine Sprache macht mich mündig.
HG, A
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