Alles fing im Frühjahr diesen Jahres an. Ich sollte auf Kur gehen. Eine Kur soll ja Abschalten vom Alltag und Hinwendung auf Außerberufliches sein. Der Personalabteilung ist das natürlich egal – man sagt hinter vorgehaltener Hand, die hätten ein Gemüt wie Schlachterhunde – und wenige Tage nach Kur-Antritt am Bodensee kam ein Anruf, in dem mir angeboten wurde, ein Jahr vor der Zeit von Berlin weg versetzt zu werden; man hätte eine tollen Job für mich in Ottawa. Ich brauchte nur wenig Zeit um mich zu entscheiden; in meiner Branche ist Ausland immer besser als Inland!
Die schwungvoll angepackten Versetzungsvorbereitungen kamen knirschend ins Stocken, als unser Vermieter – ein Kollege! - einer Kündigung nur zustimmen wollte, wenn wir ihm einen Nachmieter stellen. Erst an diesem Punkt merkten wir, dass wir bei der Wohnungssuche vor zwei Jahren in Berlin einen Zeit-Mietvertrag für drei Jahre unterschrieben hatten, der nur schwer zu lösen ist, wenn man den vertraglich festgehaltenen Zeitrahmen unterschreiten will. Es war ärgerlich und mühsam, aber es gelang. Und von Kollegen werde ich nie wieder mieten!
Anfang Juli flog ich nach Ottawa, Anfang August folgte meine Frau, am 12. August bezogen wir unser neues Haus, das seit vielen Jahren im Besitz meines Arbeitgebers ist. Das Haus war von meinem Vorgänger, seinen 4 Kindern und seiner berufstätigen Ehefrau bewohnt worden. Leider sah man ihm das auch an, sodass ein schier unablässiger Strom von Handwerkern durch das Haus musste, bis alles so funktionierte, wie wir das wollen. Sehr lästig war, dass das Dach neu gedeckt werden musste. Zu gleicher Zeit begannen draußen Bagger, die Straße aufzureißen, um neue Wasser- und Abwasserleitungen zu verlegen. Wochenlang war es recht ungemütlich, besonders für meine Frau, die ohne die unermüdliche Hilfe einer unserer Töchter an der Größe des Hauses und seinen zahllosen Macken schier verzweifelt wäre. Doch langsam schloss sich eine Baustelle nach der anderen. Das Dach ist dicht, die Straße vor der Tür ist wieder befahrbar und Handwerker klingeln nicht mehr täglich.
Nur bei der Heizung sind wir nicht sicher, ob wir sie so weit bekommen, dass sie so funktioniert, wie wir das wollen. Es ist eine hier landesübliche Heißluftheizung die die im Hause befindliche Luft in verschlungenen Blechkanälen zirkuliert und erwärmt. Das Haus ist riesig und hat zwei Heizungen. Manchmal haben wir den Eindruck, sie arbeiten eher gegeneinander als für uns. Wir warten also mit einer gewissen Spannung die richtig tiefen Temperaturen des Winters, der hier sehr kalt wird. Letztes Jahr gab es -35oC, auch -40oC sind in Ottawa schon möglich. Bei -20 oC, die wir schon hatten, war es immer noch ganz kommod, besonders, wenn wir zusätzlich den Kamin in Betrieb hatten.
Noch in der Zeit, in der ich alleine in Ottawa war, sollte ich mich nach einem zweiten Auto umsehen, hatte mir meine Frau eingeschärft. Das tat ich natürlich auch. Sie hatte an etwas Kleines, Sparsames, Praktisches gedacht. Während ich im Internet die Autobörsen durch stöberte, befiel mich große Langeweile. Kleine, praktische und sparsame Autos sind schrecklich öde. Dann sah ich eines Tages einen stahlblauen Mini Cooper Cabrio – klein, sparsam aber alles andere als öde. Darüber wie praktisch er ist, kann man verschiedener Ansicht sein. Bis unser X3 hier ankam, waren wir oft zu dritt mit dem Mini unterwegs und da war es sehr praktisch, dass man das Dach aufmachen konnte, um die dritte Person ein- und aussteigen zu lassen. Wenn man das Dach nicht aufmachen kann – na ja, weniger praktisch. Aber wenn man allein oder nur zu zweit ist, die Sonne scheint, das Dach unten ist und die Beach Boys laut „Fun, fun, fun...“ singen, dann hat man genau das, nämlich fun bis zum Abwinken. Mehrfach wurde mir schon an der roten Ampel zugerufen: “Hey Mister, nice car you have there!“
Im Herbst, als die Blätter bunt wurden, wollten wir unbedingt unsere Dauerbaustelle verlassen. Der X3 war frisch aus Deutschland angekommen und hier zugelassen, nach den Touren mit dem Mini vermittelte er das Gefühl eines Raumfahrzeuges. Mit Fremdenführer und Landkarte planten wir eine Route, die uns zunächst bis an den St. Lorenz Strom führte, dem wir bis zu der traumhaft schönen Insellandschaft der Thousand Islands (von denen das gleichnamige Salat-Dressing den Namen hat) folgten. Eine kleine Bootstour durch die Inselwelt war wunderschön. Auf den Inseln sieht man Bauten aller Art. Eine Art Schloßhotel vom Erbauer des Waldorf-Astoria-Hotels bis hin zu schmucken kleinen Ferienhäusern aus Holz, die mit ihrer Grundfläche die Insel, auf der sie stehen, zu 95% zudecken. Zwei Inseln, ganz nahe nebeneinander liegend, sind durch einen ca. 4 m langen Steg verbunden. Eine davon liegt in den USA, die andere in Kanada, aber beide gehören demselben Besitzer.
Wenn man von den Thousand Islands weiter nach Westen fährt, weitet sich der Strom. Bauten am Ufer versperren den Blick, der Verkehr fordert Aufmerksamkeit und plötzlich ist das Flussufer auf der anderen Seite nicht mehr sichtbar. Der erste der großen Seen, Lake Ontario, der denselben Namen trägt wie die Provinz (=Bundesland), in der wir leben, ist erreicht.
Die Halbinsel Prince Edward County ist ein liebliches Obst- und Weinanbaugebiet. Drei der etwas mehr als zwanzig Weingüter haben wir kurz besucht, weil sie so malerisch in die Hügellandschaft der Halbinsel eingebettet sind. Wein ist in Kanada erheblich teurer als in Deutschland, trotzdem als Getränk groß im Kommen, an der Qualität wird noch gearbeitet (und das ist gut so). Wir sind froh, mitgebrachte Vorräte im Keller zu haben.
In einem kleinen Städtchen mit dem heimeligen Namen Cobourg fanden wir ein Motel am Strand. Wasser soweit das Auge reicht. Man muss sich kneifen, um es zu fassen: Das ist alles Süßwasser! Vom Lake Ontario wendeten wir uns nach Norden auf die Bruce – Halbinsel an deren Ostseite die Georgian Bay liegt, an ihrer Westseite der Lake Huron. Mit einer großen Fähre, der Chi-Cheemaun (= Großes Kanu) setzten wir von Tobermory nach Manitoulin Island über. Manitoulin Island ist angeblich die größte Süßwasserinsel der Welt und selbst von zahllosen Seen bedeckt. An einem dieser Seen fanden wir eine kleine saubere Herberge, von netten Menschen bewirtschaftet, wo wir etwas länger blieben. Am Abend saßen wir am Lagerfeuer und hatten einen Himmel voller Sterne über uns. Tagsüber konnte man Kanu fahren, angeln und sich die Insel ansehen. Kanada, wie im Bilderbuch! An einen Wasserfall kämpften sich Lachse mit letzter Kraft gegen die Strömung hoch, um ihren Laich abzulegen. Im Becken, in das sich der Wasserfall ergießt, springen die großen Fische immer wieder mehrere Meter aus dem Wasser, um auch den Wasserfall zu überwinden. Doch der ist zu hoch. Hier haben sie den Punkt erreicht, an dem sie für ihren Nachwuchs sorgen und dann eingehen. Nach dem Laichen sterben die Lachse. Ihre Kadaver stinken und treiben den Bach wieder zurück. Später werden die jungen Fische denselben Weg zurück ins Meer nehmen, um wieder zu kommen, wenn sich ihre Zeit erfüllt hat, wie Generationen von Lachsen vor ihnen.
Seit es kalt wurde, steht ein Vogelhäuschen im Garten. Hier gibt es sehr schöne Singvögel, die man in Europa nicht kennt, aber auch schwarze Eichhörnchen, die gerne Vogelfutter klauen. So beschäftige ich mich damit, das Vogelhäuschen Eichhörnchen - fest zu machen. Als erstes kam ein umgestülpter Papierkorb unter das Vogelhäuschen, damit die Biester nicht einfach den Pfosten hoch steigen. Dann fingen sie an, von den umstehenden Bäumen genau auf das Vogelhäuschen zu springen. Also wurden die strategisch günstigen Äste gekappt. Einige dieser Burschen sprangen aber immer noch aus atemberaubender Höhe und mit Todesverachtung. Als Antwort kam eine glatte Kunststoffschicht aufs Dach (Schneidbretter vom kanadischen Bruder des „billigen Jakob“). Jetzt trifft nur jeder 4. Sprung!
Ich könnte Euch noch mehr erzählen, aber für dieses Mal muss es genügen, schließlich gibt es auch noch einen Experten für den Westen Kanadas hier im Forum, dem ich nicht das Wasser abgraben möchte! Ich werde gleichzeitig mit diesem Beitrag eine technische Frage in einem anderen thread aufwerfen, weil das Gebläse meiner Heizung/Lüftung/Klimaanlage ein sehr unangenehmes Geräusch macht: Falls mir einer von Euch dabei weiter helfen kann, wäre ich Euch dankbar!
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