Die meisten hier wissen, wie die nächste Zeile lautet, fühlen sich in längst vergangene (oder verdrängte) Schultage zurückversetzt.
Genau: ".... ein Birnbaum in seinem Garten stand. "
Wenn ich dieses Gedicht heute höre, steigt mir unwillkürlich der strenge Geruch des geölten Klassenzimmer-Holzbodens in die Nase, höre ich das nervige Kreischen der Kreide auf der Tafel.
Die Verse von Theodor Fontane liebe ich immer noch, vor fast zehn Jahren habe ich sie auch schon mal in diesem Forum zitiert.
Als Schwarzwälder Bub hatte ich keine Idee, wo dieses Havelland liegt. Später, wenn ich das Gedicht hörte oder las, war mir klar, dass ich diese Gegend niemals sehen würde - die Grenze die durch Deutschland ging...
Mein Job führte mich ohnehin in genug andere, wie ich dachte viel spannendere Ecken der Erde.
Aber dann machte ja vor einem Viertel Jahrhundert die Weltgeschichte einen Purzelbaum, plötzlich war das Land Fontanes auch aus der westlichen Ecke Deutschlands wieder ganz leicht erreichbar.
Doch obwohl ich nun Theodor Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg " - immer wieder häppchenweise aber mit viel Freude - las, lag dieses Land irgendwie nie auf meiner Route. Berlin, Rügen, Usedom, die Mecklenburgische Seenplatte, Dresden oder Thüringen (natürlich auch Masserberg!!! und nicht zu vergessen Großbocka :-) ) Brandenburg hat sich einfach nicht ergeben.
Ja und dann kam vor ziemlich genau einem Jahr der lang ersehnte Tag, von dem an ich Herr meiner Zeit war und ich auch meine Reiseziele ohne irgendeinen Druck frei aussuchen konnte. Da musste ich immer öfter an Herrn von Ribbeck denken. Und als meine Frau, eine fanatische Pflanzenfreundin, kürzlich eines Abends wie beiläufig sagte: Da oben an der Havel ist Bundesgartenschau - da stand von einer Sekunde auf die andere unser nächstes WoMo-Reiseziel fest: das westliche Brandenburg. Wegen der Blumen - und wegen eines Birnbaums.
Und Ihr seid mir bitte nicht böse, wenn ich Euch hier deshalb eines der schönsten Gedichte, das je in deutscher Sprache geschrieben wurde, nochmal in voller Länge zumute:
Herr von auf Ribbeck im Havelland
von Theodor Fontane
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand,
und kam die goldene Herbsteszeit,
und die Birnen leuchteten weit und breit,
da stopfte, wenns Mittag vom Turme scholl,
der von Ribbeck sich beide Taschen voll.
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
so rief er: »Junge, wiste ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
kumm man röwer, ick hebb ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam,
der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende, es war Herbsteszeit.
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
trugen von Ribbeck sie hinaus.
Alle Bauern und Bündner mit Feiergesicht,
sangen »Jesus meine Zuversicht«,
und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht, -
ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht.
Der neue freilich, der knausert und spart,
hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon,
und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,
der wußte genau, was er damals tat,
als um eine Birn ins Grab er bat.
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus,
ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
und in der goldenen Herbsteszeit,
leuchtets wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung übern Kirchhof her,
so flüsterts im Baume: »Wiste ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüsterts: »Lütt Dirn,
kumm man röwer, ick gew di ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand,
des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
In diesem Sinn: Morgen in der Früh geht's los.
Mit einer Zwischenübernachtung in einer Stadt, die gleich drei literarischen Größen huldigt.
Wobei nur zwei von ihnen auf einem Sockel stehen.
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